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PD Dr. habil. Kiyko S.V.

Juri-Fedkovich-Universität Czernowitz, Ukraine

Kriterien zur Bestimmung von faux amis

 

Faux amis definiert man generell als formal ähnliche Wörter mit verschiedenem seman­ti­schem Inhalt und entsprechend mit Unter­schieden in den lexikalischen und gramma­tischen Kontexten, in denen sie vorkommen. Die Bestimmung der faux amis wird aber bei verschiedenen Autoren aufgrund unterschiedlicher Ansätze vorge­nommen. Man unterscheidet zwischen einer weiten und einer engen Auffassung des Terminus faux amis.

Die weite Auffassung der faux amis ist mit den Arbeiten von Klein (1975), Petersen (1990) und Lipczuk (1991) verbunden. Nach der weiten Auffassung werden zu den faux amis nicht nur formalgleiche Wortpaare gezählt, sondern alle Fälle, die Interferenzfehler hervorrufen können, darunter Scheinentlehnungen, Phraseologismen und Wörter, die formal völlig unterschiedlich sind, aber global als semantische Entsprechungen gelten, z.B. dt. fehlen und franz. manquer. Der weite faux-amis-Begriff erlaubt somit, einen breiten Zugang zum Wortschatz beim Zweit­spracherwerb zu gewinnen, und ermöglicht einen lernerorientierten Vergleich der Di­ver­genzen des mutter- und fremdsprachlichen Lexikons. Zugleich halte ich diesen Begriff für wenig plausibel: Lässt man irgendeinen beliebigen Unterschied als hin­reichende Bedingung für faux amis gelten, so muss man auf diesen Begriff überhaupt verzichten, weil fast alle Wörter als potentielle faux amis aufgefasst werden.

Nach der engen Auffassung werden faux amis als Wörter von zwei oder mehreren Sprachen definiert, die sich bei gleicher oder ähnlicher graphischer und/oder phonemischer Form in ihrem semantischen Gehalt unterscheiden. Diese Definition von faux amis liegt den Wörterbüchern von Gottlieb (1972), Milan und Sünkel (1990), Hundertmark-Santos Martins (1995), Parianou (2000) zugrunde.

Der Einbezug in den Arbeiten von Kühnel (1979) und Wotjak (1994) bei gleicher oder ähnlicher Form nicht nur semantischer, sondern auch morphologischer, orthographischer und prosodischer Merkmale hat den faux-amis-Begriff erweitert.

Die bisherige kurze Darstellung unterschiedlicher Ansätze zur faux-amis-Definition wirft die Frage nach den objektiven Kriterien ihrer Auswahl. Um das Korpus der faux amis zweier Sprachen nach eindeutigen Kriterien zusammen­zustellen, müssen mehrere Diskussionsmomente berücksichtigt werden. Das entschei­dende linguistische Problem der faux-amis-Identifizierbarkeit liegt in der Frage, wann die notwendige Bedingung formaler Kongruenz und semantischer Äquivalenz vorliegt, um bestimmte Wortpaare den faux amis zuzurechnen.

Zur Anerkennung und Typisierung der faux amis konzentrieren sich die meisten Linguisten nur auf den Inhalt und behandeln dessen Äquivalenzgrad. Dagegen ist die materielle Übereinstimmung die wichtigste Bedingung, denn sie ist überhaupt ver­antwortlich für die Entstehung des Phänomens. Die Frage der Kongruenz bleibt aber innerhalb der faux-amis-Forschung offen. Es ist damit verbunden, dass die Grenzen zwischen sehr starker und geringerer Ähnlichkeit und zwischen dieser und keiner erkennbaren Ähnlichkeit fließend verlaufen. Die Einteilung der Wörter nach ihrem Ähnlichkeitsgrad erfolgt daher größtenteils nach subjektiver Einschätzung, wobei aber auch Sprachkenntnisse und Erkennen von Lautentsprechungen in den unter­such­ten Sprachen eine wichtige Rolle spielen. Die Behandlung der Kongruenz benötigt daher einen Überblick über die Phonem-Graphem-Korrespondenzen bzw. Schreib­konventionen, die zu Abwei­chungen auf der formalen Seite führen.

Ein weiterer Punkt, der in diesem Zusammenhang angesprochen werden muss, ist das Problem der strukturellen Kongruenz der faux amis, d.h. der Entsprechung des morphematischen Baus zweier Lexeme. Bei dem strukturellen Vergleich von faux amis ist immer die Kombination von formaler Kongruenz mit bedeutungsbezogener Äquivalenz betroffen, und zwar entweder von Wortstämmen (z.B. lat. reducere, dt. reduzieren, engl. to reduce, fr. réduire, it. ridurre usw.) oder von Wortbildungs­elementen wie Silben oder Affixen (Präfixen, Suffixen).

Da man für faux amis eine Überein­stimmung in formaler Hinsicht, mit der Option einer geringfügigen Abweichung, voraussetzt, stellt sich logischerweise die Frage, ob man den Wörtern mit strukturellen Abweichungen überhaupt den faux-amis-Status zusprechen soll. Kühnel (1979: 117) spricht sich ausdrücklich dafür aus, als eine Art faux amis auch Wörter zu erfassen, die „etwa unter dem Aspekt der Wortbildung für die normgerechte Erlernung einer Fremdsprache interessant und relevant sind“. Ivir (1968: 157) plädiert auch dafür, die Fälle interferenz­bedingter Präfigierung und Suffigierung bei gleichen Stämmen, etwa dt. anorganisch und engl. inorganic oder dt. demaskieren vs. engl. unmask als potentielle faux amis zu betrachten. Kroschewski (2000: 83ff) führt mehrere Beispiele von Adjektiv-Dub­letten im Englischen, etwa economic „wirtschaftlich“ und economical „sparsam“, delicate „heikel“ vs. delicious „delikat, köstlich“, die für Lerner Schwierigkeiten bereiten. Sol­che Präfix- und Suffixverwechslungen können unvorhergesehene Missverständnisse in der Kommunikation herbeiführen. Aus diesem Grunde werden stammverwandte Wörter zweier Sprachen mit abweichenden Präfixen und / oder Suffixen als faux amis interpretiert.

Den weiteren Schwerpunkt bildet die Äquivalenz, die im Bereich der konfron­tativen Lexikologie einen wichtigen Begriff zur Beschreibung der Beziehungen zwischen Lexemen zweier Sprachen darstellt. Äquivalenz wird allgemein als Gleich­wertigkeit definiert. Es ist aber wichtig festzuhalten, dass der Begriff „Äquivalenz“ eine eher abstrakte Forderung nach Gleichwertigkeit darstellt und sowohl eine Identitäts- als auch eine Ähnlichkeitsbeziehung bezeichnen kann (Gallagher 1998: 2). Im semantischen Bereich spricht man öfter von der Ähnlichkeitsbeziehung, weil bei einem interlingualen Wort­vergleich hinsichtlich der Bedeutun­gen fast immer mehr Verschiedenes als Gleiches festgestellt wird. Die meisten Lexikologen vertreten die Ansicht, dass Bedeutungsäquivalenz nur im Bereich der fach­sprachlichen Termino­logie aufgrund der Definiertheit und der eindeutigen Denota­tions­­vorschriften von Termini bestimmbar ist. In allen anderen Fällen sollte man Äquivalenz immer nur als Bezeichnungsäquivalenz verstehen. So fasst Enell-Nilsson (2009: 124) Äquivalenz als eine relative Kategorie auf, die zwischen der vollen Unterschied­lichkeit und der vollen Identität liegt, d.h. als eine partielle Identität zu verstehen ist. Sie stellt in Frage, ob man bei einer interlingualen Analyse überhaupt von Identitäten im semantischen Bereich sprechen kann. Sogar, wenn die semantischen Merkmale der Vergleichs­lexeme gleich sind, unterscheiden sich die Lexeme nicht selten durch ihre Kollokation, den Grad der Prototypizität oder durch ihre Vorkommenshäufigkeit im jeweiligen Korpus. In diesem Zusammenhang sollen Kriterien gefunden werden, die es eindeutig erlauben, faux amis von den Internationalismen abzugrenzen.

Generell ist man bei der Behandlung sowohl der Kongruenz, als auch der Äquivalenz auf die Erkenntnisse der Phonetik, Phonologie, Orthographie, Gra­phe­matik, Morphologie und Semantik angewiesen. Andererseits versteht es sich von selbst, dass in einer didaktisch ausgerichteten vergleichend-lexikologischen Arbeit von den Daten der erwähnten Disziplinen nur insofern Gebrauch gemacht werden kann, als es für die Behandlung dieser Schwerpunkte nötig ist.

 

Literatur:

1.     Enell-Nilsson M. Zur semantischen Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit einiger formal ähnlicher schwedisch-deutscher Simplizia und Komposita / M. Enell-Nilsson // VAKKI-Symposium "Sprache und Macht". – Nr. 36. – Vaasa: Univ.-Verlag, 2009. – S. 122-133.

2.     Gallagher J.D. Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungsäquivalenz / J.D. Gal­­la­gher // Kontrast und Äquivalenz. Beiträge zu Sprachvergleich und Über­setzung. – Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1998. – S. 1-29.

3.     Ivir V. Serbo-Croat-English false pair types / V. Ivir // Studia romanica et anglica zagrabiensia. – 1968. – 25/26. – S. 149-159. 

4.     Kroschewski A. „False friends“ und „true friends“. Ein Beitrag zur Klassifi­zie­rung des Phänomens der intersprachlich-heterogenen Referenz und zu deren fremd­­sprachen­didaktischen Implikationen / A. Kroschewski. – Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2000. – 600 S. 

5.     Kühnel H. Kleines Wörterbuch der "faux amis". Deutsch-Französisch, Fran­zösisch-Deutsch / H. Kühnel. – Leipzig: Verl. Enzyklopädie, 1979. – 121 S.