DIE ROLLE DES HÖRSPIELS IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT

 

   R.Tschoikiewa, S.Kussembajewa,  Abai- Universität,  Almaty, Kasachstan.

 

            Der Einsatz von Hörspielen im FU scheint uns unter den zwei folgenden Gesichtspunkten für die gegenwärtigen Diskussionen um die Möglichkeiten der methodischen Gestaltung des FU bedeutsam zu sein: unter dem Aspekt des literarischen Genres und im Zusammenhang mit der Nutzung technischer Hilfsmittel zur Ausbildung sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Diskussion um die Nutzung technischer Hilfsmittel zielt vorwiegend auf vielseitigere Gestaltung der Unterrichtsstunde, auf die Motivation und Stimulation der Lernenden sowie auf die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Arbeit mit literarischen Texten ist seit einigen Jahren stärker ins Blickfeld der Fremdsprachenmethodik gerückt.

         Zum Hörspiel als literarischem Genre im Fremdsprachenunterricht sollen hier nur knapp einige Bemerkungen gemacht werden. Im Weiteren wollen wir vor allem das Teilproblem Wiedergabe und Diskussion nach dem Hörspieltext vom Tonträger erörtern.

         Nach den eigenen  Erfahrungen mit dem Hörspiel im sprachpraktischen Unterricht sind wir der Meinung, dass dieses Genre für die Fortgeschrittenenstufe besonders geeignet ist und mit außergewöhnlichem Erfolg eingesetzt werden kann. Das ist wohl auf einige spezielle Eigenschaften zurückzuführen, die das Hörspiel vor anderen literarischen Formen auszeichnen und die den hohen Wirkungseffekt ermöglichen:

-                     Es ist ein Originaltext in dialogischer Form.

-                     Es hat meist eine einfache, übersichtliche Fabel.

-                     Es ist ein problemorientiertes Genre, das zur Stellungnahme reizt.

-                     Meist werden aktuelle Probleme behandelt, die auch das landeskundliche Wissen der Studenten bereichern.

-    Es  beinhaltet relativ wenige  Fakten, wodurch die Rezeption erleichtert wird.

           -    Die geringe Zahl von handelnden Personen (Sprechern) fördert die       Übersichtlichkeit.

           -    Der dialogische Originaltext ist besonders zur Erweiterung der lexikalischen Kenntnisse der Studierenden geeignet.

          -    Die Arbeit mit Hörspielen schult die Fähigkeit des kritischen Hörens, die für das Reagieren im Gespräch wichtig ist.

          -   Das Hörspiel ermöglicht ein kollektives Literaturerlebnis und ist somit erzieherisch wirksam.

         -    Auch die Kontrollmöglichkeiten gestalten sich besonders günstig (im Vergleich zum individuellen Lesen eines literarischen Textes).

         Die genannten Faktoren sprechen dafür, dem Hörspiel unter den im FU eingesetzten literarischen Textsorten eine gewisse Vorzugsstellung einzuräumen. In diesem Sinne stimmen wir E. K. Fischer zu, wenn er formuliert: „ Das Spiel will die Arbeit des Lehrers ergänzen, den Lehrstoff verlebendigen helfen durch die Vermittlung eines Erlebnisses, das die Begegnung mit Menschen als Schicksalsträgern auf einer Ebene ermöglicht, die zwischen Kunst und Unterhaltung so die Mitte hält, dass die Sprecher wenigstens einigermaßen glaubhaft die knapp charakterisierten  und meist ein wenig schablonisierten Figurendialogisch darstellen können, ohne das Lehrhafte störend erkennbar werden zu lassen“. Wollen wir „die landeskundliche Komponente in der Textarbeit berücksichtigen“ und  „dem Text ein Höchstmaß an landeskundlichen Informationen … abgewinnen“, so finden wir in vielen Hörspielen sowohl ein reichhaltiges Reservoir an Sachverhalten, Problemen und Zusammenhängen als auch an phraseologischen Wendungen mit landeskundlichem Bezug (einschließlich der Umgangssprache).

2. Zur Auswahl des Hörspieltextes

         Das Hörspiel muss so ausgewählt werden, dass seine Problematik die Studenten erreicht und bewegt, muss Voraussetzungen für eine produktive Interpretation enthalten und das Bedürfnis zur Auseinandersetzung wecken. Der Einsatz muss auf das Niveau der  gegebenen Gruppe abgestimmt sein und so erfolgen, dass die Unterrichtsgestaltung Aktivität, Bewusstheit, selbständiges Denken, Einstellungen und Haltungen verlangt und fördert. Von besonderer Bedeutung ist die problemhafte Unterrichtsgestaltung, weil sie die Studenten anspricht, indem der sprachliche Aneignungsprozess mit Wertungen und Urteilen verbunden wird, die Studenten reagieren und Aussagen variieren und  modifizieren lernen, was für ihren späteren Lehrerberuf wichtig ist.

         Ein weiteres Auswahlkriterium ist durch die Abstimmung des Ausbildungsprogramms mit dem sprachpraktischen Unterricht gegeben. Das gilt für die Thematik (mit entsprechend zu vermittelnder Lexik), für den jeweiligen Schwierigkeitsgrad und für die Fähigkeitsentwicklung. Durch Unter- oder Überforderung können die Studenten negativ gestimmt oder entmutigt werden. In gewissem Maße sind spezielle Interessen der Studenten durchaus  mit den Plananforderungen vereinbar. Auch sollte die Verfahrensweise bei der Unterrichtsbehandlung variiert werden, um Monotonie zu vermeiden.

3. Hörspiel und verstehendes Hören

         Der Einsatz des Hörspiels bedarf der Vorbereitung. Die Unterrichtsbehandlung sollte in der Regel nicht kommentarlos mit dem Abhören von Tonträgern beginnen. Um einen optimalen Wirkungseffekt  zu erreichen, ist es günstig, wenn in einer knappen Einführung Informationen über das Thema, die Problematik und evtl. über besondere Handlungsumstände gegeben werden, denn das Unterrichtshörspiel ist durchschnittlich 35-40 Minuten lang und erfordert ein hohes Maß an Konzentration. So erhalten die Hörer eine Orientierung über den Problemhorizont des Textes, ihre Aufmerksamkeit wird geschärft und in eine gewünschte Richtung gelenkt. Diese Informationen müssen knapp und so gehalten sein, dass die Spannung nicht reduziert wird. Die Praxis hat erwiesen, dass vom 3. Studienjahr an ein einmaliges Abhören des Textes genügt. Möglichst sollte man die Einführung neuer Lexik vor dem Abhören vermeiden und die Bedeutung neuer lexikalischer Einheiten aus dem Kontext zunächst einmal erschließen lassen. Ausnahmen könnten Schlüsselwörter sein, die für das Verständnis wesentlicher Zusammenhänge wichtig sind.

         Während des Abhörens werden von den Studenten Notizen gemacht, die sich entweder auf Unverstandenes beschränken können oder problemorientiert sind.

4. Erläuterung der Lexik und Überprüfung des Verständnisses

         Diese Arbeitsstufe geht von den Fragen der Studenten auf  Grundlage der Notizen aus, wobei die  Beantwortung nicht dem Lehrer vorbehalten ist, sondern die gesamte Gruppe einbezogen wird.  Nach Möglichkeit erfolgt die semantische Klärung durch   Umschreibung, Beispiele oder den Kontext, seltener durch Übersetzung. Zur Kontrolle wird die Handlung des Hörspiels unter Verwendung des dort vorhandenen Materials wiedergegeben. Ergänzende Fragen durch den Lehrer und Studierende garantieren den vollständigen und sachlich richtigen Nachvollzug. Die Fragen können auch so gestellt werden, dass sich eine Nachgestaltung im Gespräch ergibt.

         Auf dieser Stufe erfolgt ebenfalls die systematische Erfassung des lexikalischen Materials, das der Lehrer  vorher zur produktiven Beherrschung für die Studenten ausgewählt und vorbereitet hat.

5. Problemdiskussion

         Die eben charakterisierte Arbeitsstufe trägt vorwiegend rezeptiv-reproduktiven Charakter, führt aber gleichzeitig zum produktiven Stadium der Behandlung hinüber und schafft die Voraussetzung für die Diskussion.

         Die beiden von H.Albrecht  und G.Desselmann vorgeschlagenen Verfahrensmöglichkeiten zur Einleitung einer Diskussion werden nach unserer Erfahrung bei der Arbeit mit dem Hörspiel kombiniert eingesetzt und sind hier nicht voneinander trennbar. Die Probleme können durch die Studenten aus dem Hörspiel erschlossen und mit Hilfe von Impulsen des Lehrers abgeleitet werden. Außerdem erfolgt eine Art Generalisierung der Probleme, indem sie über den konkreten sprachlichen Kontext des Hörspiels hinaus auf den außersprachlichen gesellschaftlichen Kontext gehoben werden. In vielen Fällen kommt es gewollt oder ungewollt zu einer Internationalisierung der Problemsicht, indem die Lernenden in die Diskussion Faktoren des eigenen Landes einbeziehen.

         Die Impulse des Lehrers sollen so eingesetzt werden, dass die unterschiedlichen Aspekte berücksichtigt werden und vor allem die Urteils- und Reaktionsfähigkeit der Studierenden angesprochen und geschult wird.

         Das Hörspiel gestaltet oft psychische Entwicklungsprozesse von Menschen, zeigt sie in aktuellen Konflikt- und Bewährungssituationen. Besondere, diesem Genre eigene akustische Hilfsmittel (Geräuscheffekte) regen die Phantasie der Hörer an und fordern ein schöpferisches Mitgestalten. Daraus ergibt sich einerseits ein  zusätzlicher Schwierigkeitsfaktor, der im graphischen Text nicht gegeben ist, andererseits besteht die Möglichkeit zur weiterführenden Gestaltung der Handlung und zur „Problem und Konfliktlösung“ in der Diskussion, wodurch die parteiliche Stellungnahme zu den Widersprüchen und Konflikten geradezu gefordert wird.

  Beim guten (und richtig ausgewählten) Hörspiel ist die Motivation und Diskussionsstimulanz durch die immanenten Probleme gegeben. Trotzdem sollten Bezuge zur gesellschaftlichen Sprachpraxis bewusst gemacht werden.

 

6. Bemerkungen zu einigen Erfahrungen mit dem Hörspiel „Rödelstraße 14“ von Inge Meyer

         Im Mittelpunkt stehen aktuelle Fragen der Kindererziehung in der DDR. Widersprüche und Konflikte zwischen den Ehepartnern im vorgestellten Elternhaus sind die entscheidende Triebkraft für die Handlung des Hörspiels. Die Verantwortlichkeiten von Schule, Arbeitsstelle der Eltern und Hausbewohnern werden episodisch eingeblendet. Das Verhältnis zwischen Elternhaus und sozialistischer Öffentlichkeit wird angesprochen. Aufgrund ähnlicher sozialer Verhältnisse ergeben sich Bezüge und Vergleiche zur Erziehungsproblematik in der Volksrepublik Polen.

         Die Wahl dieses Hörspiels als Unterrichtsmaterial ergab sich aus unterschiedlichen Gründen: Bildungssystem und Erziehungsfragen in den deutschsprachigen Hauptländern sind sowohl Gegenstand des Programms für die sprachpraktische Ausbildung als auch des Lehrfachs Landeskunde. Das Hörspiel ermöglicht es, die Beziehung zwischen Sprachbildung und landeskundlicher Komponente in idealer Form zu realisieren. Die dargestellten Probleme sind inhaltlich aktuell, praxis- und berufsbezogen und reizen zur Auseinandersetzung. Der Schwierigkeitsgrad entspricht dem Sprachniveau der Studenten des 3. Studienjahres. So dass es als Übungsmaterial zum verstehenden Hören genutzt werden kann. Methodische Erfahrungen und nützliche pädagogische Erkenntnisse für die spätere Tätigkeit als Fremdsprachenlehrer lassen sich gerade mit diesem Hörspiel sehr günstig vermitteln. Die Möglichkeit zur Erweiterung der produktiven lexikalischen Kenntnisse der Studierenden soll an folgenden Beispielen demonstriert  werden:

a)                 Das lexikalische Feld zum Thema Erziehung  wurde   um folgende Elemente bereichert:

 

das   Familiengesetzbuch, sich Rat und Hilfe holen, die Aberkennung des Erziehungsrechts, das Fernstudium, die Erziehungsmaßnahme, sich wegen Unpässlichkeit  entschuldigen, im Unterricht unkonzentriert sein, ein sensibles Kind sein, zur Lässigkeit neigen, misshandeln, die Kindesmisshandlung, körperlich züchtigen, sich zu etwas hinreißen lassen, sich anfreunden mit jmdm.

b)                Aus dem Bereich der Alltagssprache wurden folgende Wendungen eingeführt (z. T. Umgangssprache):

sich etwas an den Hut stecken, es geht den Menschen wie den Leuten, den Streifenwagen (an)rufen, jmdm. Etwas nachsagen, jmdn. In Schutz nehmen, es läuft alles, jmdm. Vorwürfe machen, sich verrückt machen lassen durch etwas, auf Bewährung verurteilt werden.

         Der Einsatz des Hörspiels „Rödelstraße 14“ ergab sich günstige Möglichkeiten für weiterführende Aufgabenstellungen zur selbständigen produktiven Textproduktion als Hausaufgabe, indem die Studenten nach eigener Wahl zu den Erziehungsproblemen Stellung nahmen. Auch eine differenzierte Aufgabenstellung nach verschiedenen Komponenten  des Konflikts wäre denkbar gewesen, wie z. B. Verhalten der Arbeitskollegen und des staatlichen Leiters der Mutter, Ehekonflikt und Kindeserziehung, Beziehung Elternhaus-Schule, der Einfluss der Krankenschwester, das Verhalten von Volkspolizisten und Kriminalbeamten im gegebenen Fall.

         Die skizzierten positiven Erfahrungen sprechen eindeutig dafür, dem Genre Hörspiel im Fortgeschrittenenunterricht noch mehr Beachtung zu schenken und vor allem noch mehr ausgewählte Hörspiele durch die Lehrmittelproduktion bereitzustellen.

 

 

Literaturangabe:

1.K. K. Fischer Das Hörspiel. Form und Funktion, Stuttgart

2.G. Macher Die landeskundliche Komponente bei der Behandlung literarischer Texte im Deutschunterricht für ausländische Germanistikstudenten

3.H. Albrecht/ G. DesselmannDie Diskussion- ein Mittel zur Entwicklung des freien Sprechens im Deutschunterricht für Fortgeschrittene