Ýêîíîìè÷åñêèå íàóêè/16.Ìàêðîýêîíîìèêà.

Vlasowa I. A.

Baumanova M.

Nationale Universität für Wirtschaft und Handel namens M. Tugan-Baranowsky, Ukraine

 

Von der Vielstimmigkeit in der internationalen Politik

 

In Anlehnung an Shakespeares Wort, wonach die ganze Welt eine Theaterbühne sei, könnten wir uns fragen, wer denn in den verschiedenen Haupt- und Nebenrollen in dieser Welt mitspielt? Dort finden wir ja heute nicht nur Vertreter der Staaten. Neben den Repräsentanten der nationalen Regierungen agieren international, also grenzüberschreitend, auch viele andere Akteure: Sei es die Provinz Guangdong im Süden Chinas, die ein Viertel der gesamten chinesischen Industrieproduktion erzeugt, der US-Bundesstaat Kalifornien oder das Baskenland in Spanien; es sind dies internationale NGO´s wie Amnesty oder Greepeace, transnationale Konzerne oder internationale Organisationen wie die UNO oder das Internationale Rote Kreuz; international agieren heute auch kaukasische warlords und kolumbianische Drogenkartelle, ja selbst einzelne Persönlichkeiten wie der Dalei Lama aus Tibet oder die Teilnehmer beim jährlichen „Davos-Forum“, so daß mit Recht vor einer „Privatisierung der Weltpolitik“ gewarnt wird. „The subject is politics“ formulierten 1992 Yale Ferguson und Richard Mansbach kategorisch. Die beiden US-amerikanischen Politologen forderten damit, dass im Fach „Internationale Beziehungen“, sowohl in der Forschung als auch in der Lehre, die handelnden Akteure mit ihren Ressourcen, Kompetenzen und yalitäten in den Mittelpunkt gestellt werden. Wieso diese neuen Überlegungen, da doch die Frage, wer in den internationalen Beziehungen handelt, im ersten Moment recht schnell und einleuchtend beantwortet werden kann. Was uns von Fernsehen, Radio oder Presse an nationalen und internationalen Nachrichten geliefert wird und was wir aus einem traditionellen Verständnis von „internationaler Politik“ aufnehmen, läßt auf Präsidenten, große Vorsitzende, Kanzler oder Generäle mit ihren umfangreichen Beamtenstäben schließen. Sie scheinen in Konferenzen, Gipfeln und offiziellen Visiten die Geschicke globaler Entwicklung in den Händen zu halten. Noch heute wird internationale Politik personell vor allem an Diplomaten und Militärs festgemacht. Diesem verbreiteten Verständnis entspricht in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit internationaler Politik das traditionelle Herangehen der „realisti schen Schule“. Deren Modell geht von der Annahme aus, daß souveräne Nationalstaaten die Hauptakteure in der Weltpolitik seien und allein deren Interaktionen jenes Phänomen darstellen, das wir „internationale Beziehungen“ nennen. Der Nationalstaat besitze, so die „Realisten“, in einem deutlich abgegrenzten politischen System das Monopol legitimer physischer Gewaltanwendung nach innen über Personen und Territorien und damit die Legitimität für das Handeln nach außen. Deshalb sei es der zentralisierte und souveräne Staat, wie er sich seit dem 17. Jahrhundert in Westeuropa herausgebildet hat, der auch in den internationalen Beziehungen das Monopol, zumindest aber die Priorität gegenüber möglichen anderen inneren Akteuren besitze. Im Verständnis von Autoren wie Hans Morgenthau, Kenneth Waltz oder Gottfried-Karl Kindermann bewegt sich internationale Politik vor allem um die Begriffe Macht und Sicherheit, und beides mit einer starken militärischen Dimension.

Die Entwicklung seit dem 11. September 2001 scheint diese Sicht zu bestärken. Es ist ein großer Staat, die „übriggebliebene Supermacht“ USA, die das Weltgeschehen zu bestimmen scheint, und es ist das Militärische, um das sich hier und in den Bergen Afghanistans alles zu drehen scheint. Dieses staatenzentrierte Modell der internationalen Beziehungen, das um eine wirtschaftliche Dimension ergänzt auch als „Neorealismus“ firmiert, wird gern mit dem Billardspiel modellhaft dargestellt. Danach bewegen sich die Staaten als abgeschlossene und eigenständige Einheiten mit einer harten, undurchdringlichen Schale auf dem Spieltisch „Weltarena“, indem sie sich wie Billardkugeln beständig anziehen und abstoßen. Aber diese Schale wurde und wird immer mehr aufgeweicht und durchlöchert. Neben Nationalstaaten operieren heute auf der Weltbühne immer mehr andere Akteure - suprastaatliche, substaatliche und nichtstaatliche. Die Beziehungen zwischen der Vielzahl unterschiedlicher Akteure und deren gegenseitige Abhängigkeiten, Interdependenz, prägen heute immer stärker das Bild der internationalen Beziehungen, dem eher das Bild eines Spinnennetzes oder eines Gitters entspricht.

Wenn es sich hierbei um einen weltweiten Trend in den internationalen Beziehungen handelt, dann sollten wir ihn auch in den Rahmen der globalen Entwicklungen unserer Tage stellen. Mit der Großen Wende geriet die mittels Atomwaffen festgezurrte Welt des Kalten Krieges Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts aus den Fugen. „Die neue Ordnung der Welt ist bislang so unübersichtlich wie konturenlos“ schrieb der Historiker Dan Diner in den 90er Jahren in seinem Buch über „Weltordnungen“ und betont dabei den Plural seines Buchtitels. Seit der „Großen Europäischen Wende“ im Jahre 1989 wurden Entwürfe neuer Weltordnungen intensiv diskutiert - nach gut zehn Jahren scheint sich diese „neue“ Weltordnung in ihren Konturen als eine imperiale abzuzeichnen.

In der politikwissenschaftlichen Debatte wird häufig von der Auflösung des traditionellen Staatsbegriffes und der dazu gehörigen Souveränität gesprochen. Das Zeitalter des zentralisierten und hierarchischen Staates, wie er nach der Französischen Revolution entstanden war, werde nun von einem „neuen Mittelalter“ abgelöst. Der moderne Staat könne die Probleme immer weniger durch zentrale Verwaltung lösen. Auch dafür haben die realsozialistischen Staaten den historischen Beweis geliefert. Der Staat agiert heute, so Fritz W. Scharpf, „in einem immer dichteren Geflecht innergesellschaftlicher und transnationaler Verhandlungsbeziehungen“. Dies alles führt James Rosenau zu der Auffassung, daß der Platz der Autorität in politischen Systemen neu lokalisiert bzw. rekonstruiert werde. Nach Auffassung des prominenten USamerikanischen Politologen erfolgt dies in zwei Richtungen: nach „oben“, d.h. Autorität wird an supranationale Institutionen und nach „unten“, an subnationale, regionale Einheiten abgegeben. Eine Verbesserung der gesellschaftlichen Lösungskapazität ist offenbar sehr eng mit Dezentralisierung und Enthierarchisierung verknüpft. Die Vernetzung relativ autonomer Systeme bietet die günstigeren Möglichkeiten, auf komplexe gesellschaftliche Herausforderungen adäquat zu reagieren. Es wundert nicht, daß in diesem Zusammenhang auch das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ eine neue, positivere Wertung erfährt und von manchem in seiner Zeit von 1648 bis 1806 als eine Art Modell künftiger europäischer Staatlichkeit angesehen wird.