Ôèëîëîãè÷åñêèå íàóêè / 7. ßçûê, ðå÷ü, ðå÷åâàÿ êîììóíèêàöèÿ

 

Êàíä. ïñèõîëîã. íàóê, äîö., çàâ. êàô. Ëîïóøàíñüêèé Â.Ì.

Äðîãîáèöüêèé äåðæàâíèé ïåäàãîã³÷íèé óí³âåðñèòåò ³ìåí³ ²âàíà Ôðàíêà, Óêðà¿íà

 

Einige Charakteristika Chassidischer Erzählungen

 

Die machtvolle religiöse Bewegung im osteuropäischen Judentum, die im 18. Jahrhundert ihren Ausgang nahm und unter dem Namen Chassidismus bekanntgeworden ist, hat in einer fast unübersehbaren Fülle von legendären Erzählungen ihren Niederschlag gefunden. Diese teils mündliche, teils schriftlich niedergelegte Überlieferung blieb lange Zeit eine ungefüge Masse sozusagen ungeformten Materials, ohne Anspruch auf literarische Gültigkeit. Es ist das Verdienst Martin Bubers, die chassidischen Legenden nicht nur gesammelt, sondern auch sprachlich geformt und philosophisch durchleuchtet zu haben [2]. Die Arbeit an diesem seinem eigentlichen Lebenswerk begann vor etwa einem Jahrhundert, als “Die Geschichten des Rabbi Nachman” (1906) und “Die Legende des Baalschem” (1907) erschienen. Ihnen schlossen sich an “Der große Maggid und seine Nachfolge” (1921), “Das verborgene Licht” (1924) und der Sammelband “Die chassidischen Bücher” (1928). Die letzteren Bände sind fast gänzlich in Die Erzählungen der Chassidim“ übernommen worden, deren größter Teil jedoch erst seit 1938, dem Jahr der Emigration des Verfassers nach Jerusalem, entstanden ist. In dem voeliegenden Artikel ist ein Versuch gemacht, auf einige Charakteristika chassidischer Erzählungen aufmerksam zu machen.

1. Die chassidischen Geschichten haben einen lehrhaften, humoristischen Charakter und sind auch “pädagogische Geschichten”.

Der Berditschewer sah einen auf der Straße eilen, ohne rechts und links zu schauen. “Warum rennst du so?” fragte er ihn. “Ich gehe meinem Erwerb nach”, antwortete der Mann. “Und woher weißt du”, fuhr der Rabbi fort zu fragen, “dein Erwerb laufe vor dir her, dass du ihm nachjagen musst? Vielleicht ist er dir im Rücken, und du brauchst nur innezuhalten, um ihm zu begegnen, du aber fliehst vor ihm?” [3, 361]

2. Die Erzählungen der Chassiden lassen sich nicht kategorisieren. Man kann nur Themen, Leitlinien des Frage-Antwortspiels zwischen Lehrer und Schüler herausarbeiten. Die Schüler, die die Geschichten rund um ihre Zaddikim tradierten, berichteten das, was auf sie wirkte. “Was wir ihrem Bericht zu entnehmen vermögen, ist somit nicht eine Tatsache der Psychologie allein, sondern eine des Lebens. Begeisterndes geschah, und es wirkte, wie es wirkte ...” [3, 15].

3. Die Geschichten sind in den Tagesablauf eingebettet. Sie ranken sich um den Zaddik, den Rebbe, um das Lehrhaus, um den Sabbat, der wie eine Königin empfangen, begleitet und verabschiedet wird. Fröhlich und ehrfurchtsvoll wird mit der Thora umgegangen. Sie ist eine Braut und mit ihr wird auch getanzt. “Die Welt ist abgerundet, die Zeit ist nicht mehr wichtig, und so überrascht es nicht, wenn der Friedhof das “Haus des Lebens” ist, denn das Hiersein ist nur die kurze Station vor dem Dortsein, wo man hingehört”.

4. Meist sind die Geschichten kurz, naiv und rührend. Die Naivität lässt lächeln oder erschrecken. Die Einfachheit ist nicht leicht zu nehmen. “Wer meint, dass Einsichtsvolles kompliziert sein muss, wird von diesen Geschichten enttäuscht. Die Geschichten berichten oft von etwas, was gemeinhin als “einfältig” bezeichnet wird. Die Einfalt, die sich oft, da sie rein ist, so leicht mit Humor verbindet, wirkt befreiend. Der Mut, die Demut, die dahinter verborgen liegen, öffnen sich dem bereiten Leser nur, wenn er ein “hörend Lesender” ist.

Rabbi Sussja hörte einmal im Bethaus am Vorabend des Versöhnungstages einen Vorsänger die Worte “Und es ist vergeben” auf wunderbare Weise singen. Da rief er Gott an: “Herr der Welt, hätte Israel nicht gesündigt, wie wäre vor dir solch ein Gesang erklungen?” [3, 387].

In unserer so kompliziert erscheinenden Welt mit den so verschlungenen Denkwegen brauchen wir oft Mut, um Einfaches, Einfältiges zu akzeptieren.

5. Die Geschichten erzählen über die Freundschaft mit der Kreatur.

Rabbi Pinchas von Korez wollte den jungen Salman, der ihn auf seiner zweiten Fahrt nach Mesritsch aufsuchte, die Sprache der Vögel und die Sprache der Gewächse lehren, er aber wehrte es ab. “Der Mensch braucht nur ein Ding zu verstehen”, sagte er. Im Alter fuhr Rabbi Schneur Salman einmal mit einem Enkel über Land. Überall hüpften und zwitscherten die Vögel. Der Rabbi hielt eine Weile den Kopf aus dem Wagen. “Wie flink sie reden!”, sagte er dann zu dem Kind. “Sie haben ihr eigenes Alphabet. Man braucht nur gut zu hören und gut zu fassen, um ihre Sprache zu versteh” [3, 414].

Der Gedanke einer Ursprache, die all das Erschaffene verbindet, ist ein zutiefst philosophischer. Er rührt an die Frage nach einer Weltformel, wie sie Heisenberg beschäftigte. Und er berührt Rabbi Perez im Gespräch mit Rabbi Jakob Jizchak, der einfach “der Jude” genannt wurde: “Könnte man doch all die Rede verstehen!”, rief Perez. “Wenn du dahinkommst”, erwiderte, der Jude', “aus dem Grunde zu fassen, was du selber redest, wirst du die Sprache aller Wesen verstehen lernen. Denn so viele Sprachen es gibt, die Sprache der Wesen ist eine. Martin Buber überliefert im Anschluss einen weiteren Gedanken des “Juden”, der die Thematik rundet und das Episodenhafte fundiert:

“Willst du, so lehre ich dich die Rede der Vögel und der andern Tiere verstehen”. “Wenn es mir zugedacht ist”, entgegnete jener, “werde ich schon dahin kommen”. “Eben diese Antwort”, sagte “der Jude”, “habe ich von dir erhofft. Weißt du aber wohl schon, ob die Rede in Worten oder in Gebärden geschieht?” “Ich denke”, antwortete Jissachar Bär, “alle ursprüngliche Rede ist da zufassen, wo Wort und Gebärde einander in ihren Wurzelfasern begegnen”. “So weißt du schon das Wichtigste”, sagte “der Jude” [5, 76].

6. Die Geschichten atmen Heiterkeit und die Bereitschaft, den Menschen dort so anzunehmen, wo und wie er sich eben befindet.

All die Geschichten tragen Fragen und Motive, die mit Ambivalenz, Sublimierung, Entdeckung von Verschüttetem, mit dem Annehmen von sich selbst, mit der paradoxen Intention und mit der Sinnfrage zu tun haben. Und es überrascht nicht: Die Psalmen, die Epen und religiösen Erzählungen aller Weltreligionen, die Mythen, Märchen, Legenden und Sagen aller Kulturkreise tragen diese Momente in den ihnen jeweiligen zeit-, religions-, sozial- und kulturgeschichtlichen Färbungen, Deutungen und Bedeutungen.

7. Die Erzählungen leben von der Spontaneität, der Lebensfreude. Sie erzählen von der Verbindung von Heiligem und Weltlichem im Beten und im Lernen.

Die Spontaneität widerspricht nicht der Strenge, die vom Zaddik ausgeht. Nur trifft die Strenge anders und nicht dort, wo sie der Chassid vielleicht erwartet. (Die Geschichten erinnern manchmal an Zengeschichten). Das Moment der paradoxen Intention ist heilsam. Buber vermerkt: “Ohne die messianische Hoffnung abzuschwächen, erregte die chassidische Bewegung sowohl in den geistigen wie in den 'einfachen' Menschen, die ihr anhingen, eine Freude an der Welt, wie sie ist, am Leben, wie es ist, an jeder Stunde des Lebens in der Welt, wie diese Stunde ist”. Diese Freude kommt auch im gemeinsamen Leben der Schüler zum Ausdruck. “Die gemeinsame Bindung an den Zaddik und an das göttliche Leben, das er vertritt, bindet sie aneinander, nicht bloß in den Feierstunden des gemeinsamen Gebets und des gemeinsamen Mahls, sondern auch mitten im Alltag. In begeisterter Freude trinken sie einander zu, singen und tanzen miteinander, erzählen sich abstruse und tröstliche Wundergeschichten; aber sie helfen auch einander und setzen sich füreinander ein, und ihre Bereitschaft füreinander kommt aus derselben tiefen Quelle wie ihre Begeisterung [3, 27].

9. Die Erzählungen leben von der Rede. Die Geschichten sind Redebilder. Sie zeigen sich noch unversteckt und wirken direkt. “Das erzählende Wort ist mehr als Rede, es führt das, was geschehen ist, faktisch in die kommenden Geschlechter hinüber, ja das Erzählen ist selber Geschehen, es hat die Weihe einer heiligen Handlung ... Nach chassidischem Glauben ist das göttliche Urlicht in die Zaddikim eingeströmt, es strömt aus ihnen in ihre Werke ein, und aus diesen strömt es in die Worte der Chassidim, die sie erzählen ... Aber die Erzählung ist mehr als eine Spiegelung: Die heilige Essenz, die in ihr bezeugt wird, lebt in ihr fort. Wunder, das man erzählt, wird von neuem mächtig. Kraft, die einst wirkte, pflanzt im lebendigen Worte sich fort und wirkt noch nach Generationen” [3, 6].

Man bat einen Rabbi, dessen Großvater ein Schüler des Baalschem gewesen war, eine Geschichte zu erzählen. “Eine Geschichte”, sagte er, “soll man so erzählen, dass sie selber Hilfe sei”. Und er erzählte: “Mein Großvater war lahm. Einmal bat man ihn, eine Geschichte von seinem Lehrer zu erzählen. Da erzählte er, wie der heilige Baalschem beim Beten zu hüpfen und zu tanzen pflegte. Mein Großvater stand und erzählte, und die Erzählung riss ihn so hin, dass er hüpfend und tanzend zeigen musste, wie der Meister es gemacht hatte. Von der Stunde an war er geheilt. So soll man Geschichten erzählen” [3, 6].

10. Das dialogische Moment als Charakteristikum. Es kommt vielgestaltig zum Ausdruck. Zum Beispiel in den Antwortsprüchen. Buber erklärt es so: “Der Lehrer, der Zaddik wird gefragt, nach der Bedeutung eines Schriftverses, nach dem Sinn eines Brauchs, er gibt Auskunft, und indem er sie gibt, lehrt er mehr, als der Fragende zu lernen hoffte” [3, 11]. Die Geschichten erzählen vom Dialog mit Gott und von Gottes Dialog mit dem Menschen, von der Einung zu Gott, die das Ziel jedes Tuns ist. Das Leben selbst wird zum Dialog. Im dialogischen Verhältnis stehen Frage und Antwort in einem besonderen Bezug. Das Antworten erfolgt oft auf einer Ebene, die der Fragende nicht erwartet. Das Überraschende kann Inhalt wie Mimik oder Sprachmelodie betreffen. Auch “Nicht-Antworten” kann eine spezifische aktive Form zu antworten sein.

11. Sie berichten vom Besorgtsein. Von Nöten ist auch ein großer Zaddik nicht ausgenommen. Im Gegenteil, die Geschichten erzählen, wie gerade er hart, und das immer wieder, vor die Entscheidung des rechten Weges gestellt ist. Die Geschichte von Sussja und seiner Frau zeigt dies:

Sussjas Frau war ein zänkisches Weib und lag ihm beständig in den Ohren, er solle sich von ihr scheiden lassen, und sein Herz war schwer von ihrer Rede. Eines Nachts rief er sie an und sprach zu ihr: “Sieh her!” Und er zeigte ihr, dass sein Kissen ganz feucht war. Dann sprach er weiter zu ihr: “Es steht geschrieben in der Gemara: Wer sein erstes Weib vertreibt, der Altar selber vergießt Tränen über ihn. Von diesen Tränen ist das Kissen durchnässt. Und nun, was willst du noch? Willst du noch den Scheidebrief?” Von diesem Augenblick an wurde sie still. Und als sie still geworden war, wurde sie froh. Und als sie froh geworden war, wurde sie gut [3, 386].

12. Sie erzählen von Hier und Jetzt, von “Nichts und Etwas”. Was als “just and now” in den Psychotherapien der Humanistischen Psychologie vielleicht modern klingt, ist uralt: die Bedeutung des Augenblicks. Das Dogma, ohne Hinwendung zu dem, was hier und jetzt geschieht, ist eine leere Hülse. Im Augenblick ergießt sich die Ewigkeit in die Zeit. Sie “fangt auf, wie eben auch in einem Topf “Inhalt” aufgenommen ist. Das nun gibt dem Augenblicklichen seine Einmaligkeit. Es gibt ihm seine Würde. Formen der Liebe mögen darauf deuten.

Gerhard Wehr schreibt dazu: “Glaubenssätze, Dogmen und Tradition werden zwar ...auch von den chassidischen Frommen übernommen. Viel mehr als ein äußeres Kontinuum aber garantieren sie nicht. Sie sind bestenfalls Vehikel. Sie sind erst mit Inhalt zu füllen. Ihr Inhalt ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als das, was der Chasside dem gelebten, zu lebenden Augenblick anzuvertrauen mag” [6, 64].

13. Die Geschichten sind Beispiele existenziellen Lernens. Solches geschieht überall dort, wo Dialog und Bewusstseinsbildung ineinander gehen. Das Lehrer-Schülerverhältnis ist unter eben diesem Aspekt des existenziellen Lernens zu sehen. Lehrer und Schüler brauchen sich und unterstützen sich. Erfolge des Zaddiks hängen nicht nur wesentlich von den Chassidim ab, sie begründen sie erst. Der Zaddik ist die “begeisternde Mitte”. Sofern nun Erfolg überhaupt die richtige Vokabel ist, so begründet er sich im Akt solidarischen Lebens.

Und dieses Leben kann Wundersames hervorbringen. Der Zaddik unterrichtet nicht. Sein Tun, sein “Sein, wie er ist” wirkt. Buber sieht im Zaddik keinen Mönch, der etwas vermittelt, sondern jemanden “der der allmenschlichen, allzeitlichen Heilsaufgabe ge­sammelter als die andern zugewandt ist, dessen Kräfte geläutert und geeinigt sich auf das eine Obliegende richten…” [Zit. in: 4, 113].

Lebendig wird hier der Grundgedanke des Lernens am Vorbild. Das Leben selbst wirkt handlungsikonisch, es ist erzieherisch programmatisch. Buber berichtet schlicht über David von Lelow: “Er lehrte, man soll die Menschen, die man zur Umkehr bewegen wolle, nicht schelten und ermahnen, sondern als guter Freund mit ihnen umgehn, den Sturm ihres Herzens besänftigen und sie durch die Liebe zur Erkenntnis Gottes bringen” [Zit. in: 5, 86].

14. Die Geschichten provozieren. Sie werfen den Leser zurück, dorthin, wo er sich am wenigsten sucht: zu sich. Sie werfen zurück, dorthin, wo die Ferne am größten ist, so groß, dass ein Hinkommen kaum möglich ist: zu sich.

Jeder findet eine Geschichte, seine Geschichte. Jeder kann gerade die Geschichte finden, die er jetzt braucht. So wirken die Geschichten auch unterschiedlich, gemessen an Lebensaltern, Zeiten und Situationen. Die Themen sind die wiederkehrenden Lebensthemen – zeitlos.

 

Literatur:

1. Áóáåð Ìàðòèí. Äâà îáðàçà âåðû. – Ì.: ÎÎÎ “Ôèðìà” Èçäàòåëüñòâî ÀÑÒ, 1999. – 592 ñ.

2. Ëîïóøàíñüêèé Â.Ì., Ëÿõîâèí Î.Á., Äàøêî Í.Ò. Ìàðò³í Áóáåð: æèòòºâèé ³ òâîð÷èé øëÿõ. – Äðîãîáè÷: ³äðîäæåííÿ, 2007. – 108 ñ.

3. Buber Martin. Die Erzählungen der Chassidium. – Zürich: Manesse Verlag, 2006. – 842 S.

4. Stöger Peter. Martin Buber der Pädagoge des Dialogs. Savaria University Press, 2000. – 314 S.

5. Stöger Peter. Martin Buber. Eine Einführung in Leben und Werte. Tyrolia – Innsbruck – Wien, 2003. – 140 S.

6. Wehr Gerhard. Martin Buber. Reinbeck bei Hamburg, 1986. – 148 S.